Beitragsbild: Klinikum Bielefeld
Baby
„Manchmal bewege ich mich in zwei Welten“
Silvana Wester-Ebbinghaus ist leitende Hebamme im Städtischen Klinikum Mitte. Wir reden mit ihr über die schönen, aber auch schwierigen Momente in ihrem Berufsalltag.
Ein Praktikum vor knapp 10 Jahren in einem Kreissaal in Gütersloh war die „Geburtsstunde“ von Silvanas Traumberuf: Hebamme! Eine der damaligen Hebammen ist noch heute ihr Vorbild und hat offensichtlich viele positive Spuren bei ihr hinterlassen. Wie gut!
Sie liebt ihren Beruf, der zugleich Berufung für sie ist – und das kann ihren Arbeitgeber, das Städtische Klinikum Bielefeld nur freuen. Denn, das fällt sofort bei Silvana auf: Sobald die 30-Jährige über ihren Job spricht, strahlen ihre Augen und ihr Mund trägt ein ganz besonderes Lächeln. Sie strahlt Herzlichkeit und Offenheit aus, in ihrer Gegenwart fühlt man sich sofort wohl. Eine gute Voraussetzung für eine Hebamme!
Und ein Vorteil für Paare, die ein Kind erwarten. Denn sie nimmt unter der Geburt eine ganz besondere, intime und intensive Rolle ein. Für sie ist es der schönste Beruf der Welt. Familien in dieser besonderen Zeit zu begleiten, empfindet sie als große Erfüllung. Dabei ist sie sich ihrer Verantwortung sehr bewusst.
Während der Geburt ist Silvana für die Paare so etwas wie der Fels in der Brandung. Ihnen, die sich in einer emotionalen Ausnahmesituation befinden, begegnet sie mit Empathie und Entschlossenheit. Sie gibt Sicherheit und gleichzeitig erfasst sie die geburtshilfliche Situation in kürzester Zeit. Die kann jedes Mal anders sein und sich spontan auch ändern, wenn beispielsweise ungeplant doch noch ein Kaiserschnitt durchgeführt werden muss.
Ihr Arbeitsplatz liegt hoch über den Dächern von Bielefeld in Babytown. Silvana könnte sich nicht vorstellen, eine außerklinische Geburtshilfe vorzunehmen. Die Medizin nah am Arbeitsplatz zu haben schätzt sie sehr, denn sie hat eine wichtige Rolle unter der Geburt. „Klar unterstütze ich Akupunktur oder eine Aroma-Therapie, aber wenn ich merke, die werdende Mutter braucht mehr, damit die Geburt weiter geht, dann lasse ich auch dieses Mehr zu.“ Sie braucht und schätzt als Hebamme die Sicherheit in Form von Medizin im Backend. „Ich drücke einen Knopf und in zwei Minuten ist das ganze Team im Kreissaal, das gibt allen Sicherheit.“ Angst vor Geburten habe sie keine, wohl aber Respekt.
Erfahrene Hebammenkolleginnen sind ihr sehr wertvoll! Einige von ihnen seit 30/40 Jahren im Job. „Ihre Expertise ist hilfreich, denn manchmal ist es ja nur eine Kleinigkeit, die aber alles verändert. Und zack, wieder was gelernt.“
Mit ihrer Hilfe erblicken Kinder das Licht der Welt, aber es gibt auch Schatten. Denn Leben und Tod können in ihrem Berufsalltag nah beieinander liegen, an manchen Tagen auch Tür an Tür.
Ihr Beruf bringt zwar viele emotionale Momente mit sich, besonders dann, wenn Eltern ihr Kind leibhaftig in die Arme schließen dürfen. Doch auch in ihrem Beruf gibt es schwierige Momente, die Silvana an ihre Grenzen bringen. Wenn beispielweise zwei komplett verschiedene Geburten parallel laufen. In Kreissaal 1 findet eine ganz „normale“ Geburt statt und in Kreissaal 2 eine Todgeburt. „Beide Frauen/Eltern brauchen mich in solchen Augenblicken dann ganz „unterschiedlich“. Ich bewege ich mich dann in zwei Welten. Zwischen beiden Zimmern dann – mit dem Öffnen der jeweiligen Tür – komplett umzuschalten, ist ein Balanceakt, der mir viel Kraft abverlangt.“
Solche oder andere Erlebnisse führen hin und wieder auch zu Distanzproblemen für Silvana. Sich nach solchen Tagen vom Erlebten abzugrenzen, fällt ihr manchmal sehr schwer. „Ich bringe oft Themen mit nach Hause. Ich versuche mich dann mit Sport oder anderen Aktivitäten abzulenken. Das klappt mal gut, mal weniger gut.“
Etwas, das ihr nach solchen Fällen immer hilft, ist ihr Team: „Wir haben das große Glück, dass wir ein gutes Ärzte- und Hebammen-Team haben. Nach besonderen Fällen arbeiten wir das gemeinsam auf und sprechen viel miteinander. Das nutze ich. Wenn es Geburten gab, die mich noch nachhaltig beschäftigen, suche ich immer das Gespräch und lese auch im Nachgang nochmals den Geburtsbericht. Danach kann ich damit gut „abschließen“.“ Und das ist in ihren Augen auch wichtig, denn die nächste Geburt erfordert wieder ihre ganze Aufmerksamkeit und Fürsorge.
Nicht selten wird sie in ihrem Berufsalltag nach eigenen Kindern gefragt. Verstörend empfindet sie dann die Reaktion von zumeist Frauen, wenn sie das verneint. Sätze wie „Dann verstehst du ja nicht, was ich meine“, verletzen sie. „Manche Frauen verstehen nicht oder wollen nicht verstehen, dass man auch ohne eigene Kinder eine gute Hebamme ist. Denn fachliche Expertise und Erfahrung verändern sich nicht erst durch ein eigenes Geburtserlebnis.“
Was sich Silvana für den Beruf der Hebamme wünscht, ist ganz klar mehr Zeit: „Damit ich eine Eins-zu-Eins-Betreuung ermöglichen kann. Denn in der Realität gibt es die so gut wie nie. Hier begleite ich manchmal zwei Kreissäle, bedeutet zwei Paare in unterschiedlichen Stadien des Geburtsprozesses. Zwischendurch dann vielleicht noch eine Frau unter Wehen und eine weitere mit einem fraglichen Geburtsbeginn, die untersucht werden muss.“ Das A & O ist, dass sie Ruhe bewahrt. Sie muss abwägen, wer sie mehr braucht. Zum Glück ist aber nicht jeder Tag so. „Manche Schichten sind ganz ruhig, in anderen hat man das Gefühl, es hält ein Bus. Spontane Geburten kann man halt nicht planen.“