Alltag
Es ist nie zu spät!
Mit 40 Jahren und zwei Kindern Medizin studieren
Als ich Katharina das letzte Mal gesehen habe, besuchte sie mich am Wochenbett als meine Hebamme. Heute treffen wir uns in der Universität Bielefeld, schnappen uns einen Cappuccino zum Studentenpreis und suchen uns ein ruhiges Plätzchen im Hauptgebäude.
Denn Katharina drückt mit 40 Jahren, als Mama von zwei Kindern (7 und 9 Jahre), die Unibank. „Ich mache das, wovon ich schon immer geträumt habe: Ich studiere Medizin, möchte Ärztin werden.“
Daran gehindert hat sie nach ihrem Abitur der NC. Der Wunsch war schon damals da, die Studienmöglichkeit blieb ihr verwehrt, die Noten waren nicht gut genug. Also machte sie erst mal eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Immer mit der Hoffnung, mit den fleißig gesammelten Wartesemestern im Anschluss doch noch einen Studienplatz ergattern zu können. Pustekuchen. Dieser Plan ging nicht auf. Nach insgesamt 6,5 Jahren in der Pflege und immer wieder den gekreuzten Fingern, in der nächsten Runde einen Platz an der Uni zu bekommen, konnte und wollte sie nicht mehr. „Es ging nicht mehr, ich musste mich einfach damit abfinden. Es war Zeit für Plan B.“ Dieser war eine Ausbildung zur Hebamme. Geplant, getan: Zehn Jahre war Katharina als Hebamme in Bielefeld tätig.
Und dann kam alles doch ganz anders: Die Neugründung der medizinischen Fakultät an der Universität Bielefeld rüttelte alte Träume wach: der große Wunsch Medizin zu studieren. „Als ich immer wieder davon hörte, war ich so getriggert, es noch einmal zu versuchen – ein letztes Mal! Einfach, damit ich mit 80 sagen kann, dass ich auch die letzte Chance genutzt habe.“
Mama, Studentin, Hebamme – alles in einer Person
Und es passierte das für sie Unglaubliche – es flatterte tatsächlich die Zusage ins Haus. „Ein irres Gefühl. Das, wovon ich Jahre geträumt habe, ist plötzlich Realität.“ Aber, die Sache hatte einen großen Haken: Der Studienplatz war 180 Kilometer von der Heimat entfernt. In Göttingen.
Nach einem Tag absoluter Freude und Dauergrinsen kamen große Zweifel. Denn ihre private Situation sah jetzt anders aus als nach dem Abitur. Katharina war mittlerweile Mama von zwei Kindern. „Ich habe nur noch geheult, war unsicher, wusste nicht, was richtig und falsch ist.“ Totale Überforderung. Wie soll das alles klappen mit den Kids? Raus aus der vollen Berufstätigkeit, rein ins Studium und dann auch noch in einer anderen Stadt. „Manche Freunde haben mich für komplett wahnsinnig gehalten. Aber das habe ich ausgeblendet, mich auf mich und meine Familie fokussiert.“ Ihr war klar: Dieser Weg wird kein leichter sein. Dieser Weg wird steinig und schwer. (Xavier Naidoo)
Viel Zeit zum Überlegen hatte sie nicht, denn drei Wochen nach der Zusage stand die erste Vorlesung an. Katharina entschied sich für einen „Softstart“. Sie startete das Studium im Oktober 2021 in Elternzeit. Das bedeutet: weniger Studienleistungen erbringen zu müssen, ohne dass man die Regelstudienzeit direkt verlängert. Denn zum Zeitpunkt der Bewerbung war sie noch Vollzeit als Hebamme tätig. Sie wollte die Frauen, denen sie eine Wochenbettbetreuung zugesagt hatte, nicht hängen lassen. Das bedeutete aber „Dreifachbelastung“: Job, Studium, Familie. Eine herausfordernde Zeit für alle.

Ein Neustart ist selten leicht. Ganz besonders schwer fiel die Veränderung ihrer damals vierjährigen Tochter. Da flossen auch Tränchen und für das Mama-Herz nur schwer auszuhalten. „Ich war teilweise zwei, drei Nächte in Göttingen, da habe ich als Mama zu Hause gefehlt.“ Solche Momente waren es auch, die Katharina zweifeln ließen, ob ihre Entscheidung richtig war. Denn eines war ihr immer klar: Geht es auf Kosten der Kinder, funktioniert das alles nicht!
Und wie so häufig im Leben, ergibt sich im richtigen Moment eine neue Möglichkeit: 2023, drei Semester später, konnte sie an die Uni Bielefeld wechseln. Ein Gamechanger für sie, für alle.
Jetzt bringt sie die Kinder morgens zur Schule und düst dann in die Uni. Den Nachmittag verbringt sie wieder zu Hause mit den Kids. Für die Beiden sieht sie ihr Studium übrigens als wertvolle Erfahrung: „Meine Kinder sehen, dass man auch als Erwachsener Ziele und Wünsche haben darf, für die man aber auch was tun muss.“ Katharinas Tochter hat sie auch schon einmal in eine Vorlesung und an ihren Lernplatz in der Bibliothek begleitet. „So ist es für sie greifbarer.“
Meine größte Stütze – mein Mann
Organisation und ein Netzwerk sind beim Studium mit Kind ein Must-have. „Wir hatten zu Beginn viel Unterstützung von meinen Eltern und Schwiegereltern. Jetzt übernimmt zweimal die Woche eine Kinderfrau den Nachmittag.“ Ohne diese Hilfe würde es schlichtweg nicht klappen.
Die wichtigste Person für Katharina ist jedoch ihr Mann. „Meine größte Stütze. Er baut mich immer wieder auf und nimmt mir zu Hause vieles ab. Hätte ich einen Partner an meiner Seite, der das nicht mitträgt, wäre es nicht möglich.“ Er hat sich beruflich für Katharinas Traum verändert, hat seine Arztstelle im Krankenhaus aufgegeben und sich selbstständig gemacht. Mit der Praxis kann er seine Arbeitszeiten flexibler und familienfreundlicher gestalten. „Es war schon immer sein Wunsch in eine Praxis zu gehen und in der damaligen Situation dann genau der richtige Moment.“ Seinen Beruf betrachtet Katharina auch als klaren Vorteil für ihr Studium. „Er kann meine Situation gut nachempfinden und mir auch mal helfen.“
Das Lernen wieder lernen
Katharinas Abitur liegt 20 Jahre zurück. Vieles an Wissen aus der Schulzeit war weg oder verschüttet. In Chemie musste sie ganz von vorne wieder anfangen: „Es kostete mich viel Zeit, die ganzen Basics in die Birne zu bekommen.“ Aber, Katharina ist davon überzeugt, dass ihr Alter und „Mamasein“ auch Vorteile mit sich bringen. „Mit zwei Kindern ist es mein Ziel, schnell fertig zu werden, um abends beim Laternenumzug dabei zu sein oder meinen Sohn zum Training zu fahren. Ich habe immer die Zeit im Nacken, dadurch bin ich hier und da bestimmt strukturierter als JungstudentInnen.“
Und sie weiß, dass sie das hier wirklich will. 100%! Das macht die Gesamtsituation auch erträglich. „Keine Frage – das Leben, das meine Familie und ich gerade führen, ist an vielen Stellen sehr herausfordernd.“ Me-Time kennt Katharina aktuell nicht. Auch Zeit mit Freunden verbringt sie nur sehr selten. Ihre Freizeit gehört den Kindern und wenn die mal nicht da sind, steckt sie ihre Nase direkt wieder in die Bücher. Aber, sie weiß, das ist nur temporär. Das hält sie hoch, wenn mal wieder Monate vergangen sind für ein ausgelassenes Kaffeedate mit ihrer Freundin oder ein gemütlicher Abend mit ihrem Mann.
„Nichts ist schlimmer als das Bedauern, es nicht versucht zu haben“
Wenn alles gut läuft, dann ist sie in fünf Jahren fertig. Aber, Katharina ist sich auch bewusst, dass der Plan mit dem Studium kein fixer ist: „Wenn sich irgendwas im Leben akut verändern sollte, ist es nicht ausgeschlossen, natürlich direkt wieder zu arbeiten. Dann ist das halt so. Nix im Leben ist fest planbar – auch mein Traum nicht. Aber bis dahin gebe ich alles, dass mein Studium ein Erfolg wird.“ Denn nichts ist für sie schlimmer als das Bedauern, es nicht versucht zu haben.
Kinder und Studium – wie vereinbart man privates und berufliches Glück?
An den Universitäten Bielefeld und Paderborn sowie der HS Bielefeld gibt es Beratungsstellen für Studierende mit Kindern. Die Experten helfen bei Fragen und Planungen: Welche Betreuungsmöglichkeiten gibt es? Welche Unterstützung kommt für mich in Frage?
Finanzielle Unterstützung
Welche Form der finanziellen Hilfe infrage kommt, hängt von der persönlichen Lebenssituation ab: Ist bereits ein Studium abgeschlossen? Gibt es einen Partner, der bereits voll verdient? Über Förderungen informieren die Beratungsstellen und das Arbeitsamt.
Denkbar sind beispielsweise: Stipendium, BaFög, Studienabschlussfinanzierung, Kinderbetreuung
Für die Betreuung von Kindern stehen den Studierenden der Universität Paderborn, Universität und Hochschule Bielefeld verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung:
– Betreuungsplätze in Kindertagesstätten
– Tagespflegeperson oder Tagespflegegruppe
– Ferienbetreuung
– PUKI an der Uni Paderborn: Hier können Kids im Alter von 1-12 Jahren bis zu drei Stunden kostenlos betreut werden. Immer dann, wenn ein Termin am Lehrstuhl oder ein Seminar am späten Nachmittag ansteht und Kita oder Tagesmutter geschlossen sind.
– Für Termine am Spätnachmittag oder am Wochenende gibt es an der HS Bielefeld die Kita „EffHa“. Diese betreut bei Bedarf Kinder von Studierenden im Alter von 4 bis 10 Jahren.
Ersatzgroßeltern an der Uni Paderborn
Die meisten jungen Eltern an der Uni Paderborn kommen nicht aus der Region. Es fehlt es an familiärem Support, weil die Großeltern entweder selbst noch berufstätig sind oder nicht ums Eck wohnen. Dafür gibt es dann die „Ersatzgroßeltern für Uni-Kids“. Bei der Vermittlung hilft das FamilienServiceBüro.
Eltern-Kind-Gruppe an der Uni Bielefeld
Der Familienservice lädt einmal im Monat alle Studierenden und Promovierenden zur Eltern-Kind-Gruppe ein. Die Gruppe bietet die Möglichkeit zum Austausch und Kontakte knüpfen.
Kontakt
Universität Bielefeld über familie@uni-bielefeld.de
Hochschule Bielefeld über gleichstellungsbuero@hsbi.de
Universität Paderborn über barbara.pickhardt@uni-paderborn.de