Alltag
Superpower „Alleinerziehend“
Bye bye Vorurteile, her mit der Realität! Ein Artikel über zwei alleinerziehende Frauen, die, neben all dem Anfangs-Struggle und System-Wahnsinn nicht nur klagen, sondern auch über positive Seiten der Ein-Eltern-Familie berichten können!
Ich bin ganz ehrlich: Wenn ich bisher über Alleinerziehende geredet habe, habe ich diesen Personen gedanklich ein Taschentuch gereicht und sie/ihn mit mitleidigen Worten nur so überhäuft. Was für ein trauriges Leben das doch sein muss und vor allem maximal kräftezerrend. Im Alltag allein mit allem. Kein zweiter Erwachsener, der im Täglichen supported, mit organisiert, Aufgaben übernimmt. Von den Finanzen ganz zu schweigen. Alleinerziehende können wenig an Pflichten teilen oder gar abgeben. Oh, muss das mies sein. Für mich in meiner Bubble (verheiratet, zwei Kinder) ist einer der schönsten Momente nach einem langen Tag, wenn ich den Schlüssel vom Daddy in der Tür höre: Puh, endlich Übergabe der Kids, Musik an und in Ruhe Abendessen für die Familie vorbereiten.

Denke ich immer noch mitleidig, nachdem ich spannende Gespräche mit zwei echt starken Frauen, Sina Wollgramm und Sara Buschmann, führen durfte? Die Antwort lautet: JEIN.
„Ich bin meinem Ex heute sogar dankbar.“
An einem verregneten Tag treffe ich Sina, alleinerziehend und das faktisch seit Tag eins – der positive Schwangerschaftstest war ihr Beginn als alleinerziehende Mama. Da war sie 25 Jahre alt. Schon nach den ersten Sätzen denke ich: Wow, was für eine coole Type. Respekt, wie sie das schafft. Und dann dieser Satz: „Ich bin meinem Ex heute sogar dankbar, denn sonst wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.“ Wie das? Ihr Leben als Single Mom (was – by the way – doch irgendwie viel positiver klingt als Alleinerziehend, oder?) seit jetzt 6 Jahren ist mittlerweile selbstbestimmter und freier denn je. Sie ist Dinge angegangen, die ohne Trennung bestimmt immer noch auf einem To-Do Zettel warten würden, abgehakt zu werden.
Beruflich macht die Bielefelderin das, von dem sie schon als kleines Kind geträumt hat. Sie ist selbstständig, schreibt Kinderbücher, betreibt einen Podcast gemeinsam mit Silke (Das AE Team – der positive Podcast für Alleinerziehende) und ist als Redakteurin „unterwegs“. Mit Partner und Sohn – ist sie überzeugt – hätte sie sicherlich den einfacheren Weg gewählt. „Ich würde bestimmt immer noch in einer Redaktion sitzen und nur davon träumen, irgendwann mal Kinderbücher zu schreiben.“
„Am Anfang ist es ein Berg . . .“
Sina macht kein Geheimnis daraus, dass die ersten Wochen sehr, sehr schwer waren. So ganz anders, als sie sich das mit Kind in ihren Gedanken ausgemalt hat. Denn der Kinderwunsch war ein gemeinsamer. Doch dann kommt alles ganz anders. Aus der Traum. Das wirft sie mit voller Wucht aus der Bahn: „Ich fühlte mich wie in einem Vakuum, es ging nicht nach vorn und auch nicht zurück. Ich war tagelang einfach leer.“ Sie hatte zwar Rückhalt in ihrer Familie, dennoch war es ein emotionaler Ausnahmezustand. „Ich allein mit Kind. Der Anfang war unglaublich schwierig und fordernd, dann wurde es leichter.“ Mit reichlich Recherche stellte sie sich einen Fahrplan auf – in ein glückliches Leben für sich und ihren Sohn. Sina fing an, IHR Leben aktiv zu gestalten und fasste mehr und mehr Fuß. Ging das Thema Finanzen an, kümmerte sich um ihre Altersvorsorge: „Wo kommt das Geld her, wie finanziere ich gewisse Dinge und wie stelle ich mich auf? Als Alleinerziehende war ich gezwungen, mich damit zu beschäftigen.“

Es war ein sehr langer Weg in die Selbstbestimmung. Sie zog aus ihrer Situation sogar Ideen für neue Projekte und veröffentlichte u.a. einen Ratgeber „Allein durch Schwangerschaft und erste Babyzeit: ein Mutmach-Ratgeber für werdende Alleinerziehende“. Bis sich alles gut und richtig angefühlt hat, dauerte es zwei, drei Jahre.“ Ihre Erfahrungen waren sicherlich nicht alle schön, aber sie ist daran gewachsen. Sie weiß, was sie will und vor allem, wo sie noch hin will.
„Die Vorurteile gegenüber Alleinerziehende nerven!“
Im Gesprächs merke ich, was Sina so richtig triggert und echt nervt! „Die Mainstream Berichterstattung – oft negativ – in den Medien und Elternforen stört mich total.“ Ihr fehlt das Positive, das Motivierende. Wie gestalte ich beispielsweise ein zufriedenes Leben als Alleinerziehende? Was sind die wichtigen Dinge, die man bedenken und angehen sollte? Welche Rechte und Pflichten habe ich überhaupt? Denn das Leben ist doch nicht vorbei, nur weil kein*e Partner*in mehr da ist. Keine Frage, es ist anders.
Stattdessen sei die ganze Schublade voll mit Vorurteilen: „Man bekommt direkt einen Stempel: Sie haben wenig Geld, leben vom Staat, sie brauchen ganz schnell wieder einen neuen Partner. Die Liste ist lang. Aber diesem medialen Bild entsprechen wir nicht.“ Die Realität wird in Sinas Augen nicht gesehen. Dabei ziehen sich die Ein-Eltern-Familien durch alle Gesellschaftsschichten. Es kann halt einfach jeden treffen. Mann und Frau. Jung und Alt. Gewollt und ungewollt.
Alleinerziehenden werden keine Steine, sondern Brocken in den Weg gelegt
Vielmehr sollte einiges in Deutschland thematisiert werden. Allen voran die ungerechte Besteuerung. Die mache es Alleinerziehenden nämlich verdammt schwer. „Es herrscht eine große Ungerechtigkeit. Bei Alleinerziehenden findet das Ehegattensplitting keine Anwendung und das ist Schwachsinn. Entweder finden die Vergünstigungen da Anwendung, wo Kinder sind oder man schafft es ab.“
Dass die Situation vor allem im Bereich Steuern echt miserabel ist, bestätigt auch Sara: „Als mein Bruder noch kinderlos verheiratet war, hatte er einen besseren Steuersatz als ich als alleinerziehende Mutter.“ Der Staat belohnt also Trauscheine – aber nicht Kinder!?
Die Tochter von Sara war 10 Monate alt, als sie in das Leben als Single Mom schlitterte. Heute arbeitet die Rheda-Wiedenbrückerin in einer PR Agentur, wuppt ihren Alltag mit Tochter, die mittlerweile fünf Jahre alt ist. Und damit nicht genug hat sie noch ein digitales Baby ins Leben gerufen: Solomütter. Da bekommt der Begriff „Organisationstalent“ noch einmal eine ganz andere Bedeutung. Solomütter ist Community, Netzwerk und Magazin: www.solomuetter.de. Sie ist Gründerin der Plattform, will dort Alleinerziehenden eine Anlaufstelle bieten und ihnen eine Stimme geben. Denn: „Richtig gute Tipps kommen häufig von Gleichgesinnten.“
Wie kam sie auf die Idee, Solomütter zu gründen? „Als ich vor gut fünf Jahren mit einem Baby auf mich gestellt war, wurde mir das Ausmaß der Herausforderungen und Hindernisse für Ein-Eltern-Familien in Deutschland erst voll bewusst.“ Auch sie fühlte sich, trotz vieler Gespräche mit Experten, nicht ausreichend informiert. Egal ob on- oder offline. Ihr fehlte oft das Gespräch auf Augenhöhe und echtes Verständnis. Das wollte sie ändern! „Mit Solomütter wollen wir informieren und Alleinerziehenden gleichzeitig eine Austauschplattform mit Gleichgesinnten bieten – in der akuten Trennungssituation, aber auch danach. Denn – wir sind nicht alleine. Wir sind ganz viele. Und das zu wissen, fühlt sich gut an.“
Sara ist super wichtig, dass all die Herausforderungen und Probleme von Alleinerziehenden in der gesamten Gesellschaft gesehen werden und nicht nur von den Betroffenen. Denn nur so könne sich in Zukunft etwas ändern! „Über die meisten Dinge, so wie sie wirklich sind, weiß die Öffentlichkeit viel zu wenig.“ Beispielsweise die vielen strukturellen Nachteile wie Betreuungsmöglichkeiten. Was schon für Paar-Familien eine Herausforderung ist, wird für erwerbstätige Alleinerziehende eine echte Mammutsaufgabe, die nur mit einem echt guten Netzwerk gemeistert werden kann. Aber das hat eben auch nicht jede/r. Eine ebenso große Baustelle sind die gravierenden Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Rechts- und Unterhaltsansprüchen. Größtenteils erhalten die Kinder kein Unterhaltsgeld, weil viele Getrennte nicht zahlen wollen.
„Alleinerziehend ist eine unfaire Angelegenheit“

Dass das Portal mit dem Namen SoloMÜTTER auf Frauen verweist, hat einen einfachen Grund: Denn rund 90 Prozent aller Allein- und Getrennterziehenden sind weiblich. „Unsere Probleme und Herausforderungen sind häufig anders gelagert als die der Väter. Eine Tatsache, die viel mit der gesellschaftlichen sowie ökonomischen Situation von Frauen in Deutschland zu tun hat“, so Sara. Es sei einfach Fakt, dass Frauen im Job noch immer benachteiligt seien. Stichwort: Gender Pay Gap. Hinzu kommt, dass in der meist vorangegangenen „Paarfamilie“ es die Mamis sind, die beruflich für die Kinder zurückstecken. Also in Elternzeit gehen und dann gegebenenfalls in Teilzeit arbeiten. Die Daddys sind meist die, die ihre Karriere weiter vorantreiben. Hinzu kommt noch, dass Berufe mit niedrigem Bruttoeinkommen oft weiblich geprägt sind.
All diese Aspekte fallen nach einer Trennung dann natürlich noch stärker ins Gewicht und sind ein Grund, wieso alleinerziehende Frauen armutsgefährdet sind. OBWOHL sie arbeiten. Arm trotz Arbeit! Puh!
Themen wie Kinderbetreuung, gerechte Löhne und gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt bis hin zur Steuer müssten dringend auf die tatsächliche Situation angepasst werden. „Denn, das sagt auch Sara, „wenn die Rahmenbedingungen stimmen, rechtliche Fragen geklärt sind, die finanzielle Situation stabil ist und das soziale Umfeld mitzieht, ist Alleinerziehenden und ihren Kindern ganz viel geholfen.“
Definition Alleinerziehend: Wann ist man Alleinerziehende/r?
Als Alleinerziehende werden die Elternteile bezeichnet, welche mit einem oder mehreren Kindern unter 18 Jahren zusammenleben und allein erziehen. Also die Elternteile, bei denen die Kinder wohnen. Der Begriff ist nicht abhängig vom Sorgerecht.
2,52 Millionen Alleinerziehende in Deutschland, fast jede fünfte Familie ist eine Ein-Eltern-Famile
88% der Alleinerziehenden sind Mütter
71% aller alleinerziehenden Mütter sind erwerbstätig – davon 46% in Vollzeit!
1873 Euro ist das durchschnittliche Nettoeinkommen von alleinerziehenden Müttern
2.461 Euro ist das durchschnittliche Nettoeinkommen von alleinerziehenden Vätern.
Nur knapp jedes vierte Kind in einer Alleinerziehendenfamilie erhält vom anderen Elternteil die Höhe an Mindestunterhalt gemäß der sogenannten Düsseldorfer Tabelle.
Das Armutsrisiko alleinerziehender Familien ist viermal so hoch wie das von Paarfamilien! 42,7 % der alleinerziehenden Familien sind von Einkommensarmut betroffen!
Anlaufstellen für alle Anliegen, Herausforderungen und Probleme Alleinerziehender:
– Lotsenstelle für Alleinerziehende, ein Angebot von Diakonie für Bielefeld und Stadt
alleinerziehend@diakonie-fuer-bielefeld.de
Telefon 0170 2246719
– ALINE – Das Fördernetzwerk zur Stärkung alleinerziehender Mütter
Tel.: 0521 557 43 50
info@bielefelder-buergerstiftung.de
– Rechtshotline für Alleinerziehende
In einem kostenfreien, 30-minütigen Beratungsgespräch beantworten Rechtsanwält:innen Fragen zum Familienrecht
0800 – 50 60 600
www.hotline-familienrecht.de
– SOLOMÜTTER – Das digitale Zuhause für Single Moms
www.solomuetter.de