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In der Weihnachtsbäckerei

Die Lebkuchenfabrik Heinrich Schulze hält eine Jahrhunderte alte Tradition in Borgholzhausen aufrecht

Ja, irgendwie kann man Weihnachten riechen. Es ist diese Melange aus Zucker und Gewürzen: Zimt, Nelken, Koriander. Und dieser süßlich-würzige Duft schlägt einem eigentlich das ganze Jahr entgegen, wenn man die Tür der ersten westfälischen Leb- und Honigkuchenfabrik Heinrich Schulze in Borgholzhausen öffnet. Willkommen in der Weihnachtsbäckerei.

Das ist richtig und doch nicht ganz richtig. „Denn wir produzieren eigentlich das ganze Jahr Lebkuchen und Gebäck“, erklärt Peter Knaust, der das Unternehmen in mittlerweile 5. Generation führt. Dennoch ist die Dauerbackware ganz typisch für Weihnachten und hauptsächlich zu dieser Zeit auf dem Gebäckteller in den Familien vertreten. Das gesamte Sortiment umfasst bis zu 80 verschiedene Backspezialitäten - vom Butterkringel bis zum Vanille Kuchen.

Vorbei an Stapeln von Puderzucker – verpackt in 25 Kilo Säcken – zeigt der Geschäftsführer beim Rundgang auf die großen Tröge. Darin lagern jeweils 250 Kilo fertige Teige – gerührt nach traditionellen und geheimen Rezepten. Fünf Tage Ruhe wird ihnen zum Reifen gegeben, bevor sie wieder durchgeknetet und verarbeitet werden. Gut Ding braucht eben Weile.

„Lebkuchen enthält keine Konservierungsstoffe und wenig Fett. Aber dafür Zucker, der ihn auch so lange haltbar macht“, erklärt Knaust. Nach dieser Zeit der Lagerung wird der Teig nochmals weich geknetet, bevor er an diesem Morgen als „Figurenlebkuchen klein“ in die Produktion geht. Die entsprechende Formwalze ist eingespannt und stanzt aus dem ausgerollten Teig vollautomatisch Herzen und Sterne, Schaukelpferde und Tannenbäume. Apropos Walzen: In die Walzen, mal von Kunststoff mal von Messing umhüllt, sind zum Teil aufwändige Muster gefräst. Sie geben Spekulatius, Bremer Brot, Honigleckerlis und Co. Form und Aussehen.

Zurück zu den Figurenlebkuchen. Die Rohlinge werden anschließend bei 250 Grad fünf bis zehn Minuten gebacken. Waren sie zuvor noch flach wie eine Lasagneplatte haben Pottasche und Hirschhornsalz ihnen im Backofen ordentlich Auftrieb gegeben. Die Lebkuchenteile werden auf der Produktionsstraße vollautomatisch weitergereicht. Dabei passieren sie eine weiße Gardine aus Zuckerguss oder werden schokoliert. Unter genauer Kontrolle der Viskosität. „Die Zuckerglasur muss danach getrocknet, die Schokolade gekühlt werden“, erläutert Peter Knaust. Das spielt sich wiederum ein paar Meter weiter im Verborgenen in einem Tunnel ab. „Die gesamte Produktion vom Teig bis zum fertigen Gebäck läuft vollautomatisch über eine Bahn von 150 Metern und dauert etwa 45 Minuten.“ Technik trifft Tradition.

Gleich nebenan unterliegt sogenanntes Steinpflaster, runde Lebkuchen mit Schokolade oder Zuckerglasur überzogen, der kritischen Endkontrolle, bevor sie mit der Hand verpackt werden. Die Gebäckstücke, die nicht gleichmäßig glasiert sind, werden aussortiert. Sie, die nur einen optischen, aber keinen geschmacklichen Makel haben, werden als Bruchware, sogenannte 2. Wahl, wie das gesamte Sortiment im Laden im benachbarten Stammhaus in der Freistraße verkauft.

Ganz auf Handarbeit wird eine Etage höher gesetzt. Hier liegt das Herzstück des Unternehmens: die Verzierung von Lebkuchenherzen in verschiedensten Farben und Ausprägungen sowie deren Konfektionierung. Auf dem Hamburger Dom oder Liborimarkt in Paderborn werden seit Jahrzehnten die Herzen mit Herzen aus Borgholzhausen erobert. „Ein klassischer Kirmesartikel“, erklärt der Geschäftsführer. Die Damen haben den Bogen raus. Blumen, Sprüche in Zuckerschrift und Borten werden in Handarbeit auf die Herzen gespritzt. „Bei den Herzen vertreten wir die Ein-Stück-Philosophie. Der Kunde bekommt von uns sein individuelles Lebkuchenherz oder eine Serie – ganz nach seinen Wünschen.“ Realisierbar sind Herzen bis zu einem Gewicht von 1,2 Kilo und einer Größe von etwa 50 mal 50 Zentimetern. „Da passt auch ein ganzes Gedicht drauf.“

res

Lebkuchenstadt Borholzhausen

Die Bienen lockten einst die Honigkuchenbäcker aus dem benachbarten Dissen nach Borgholzhausen. Die Imkerei war nämlich im 18. Jahrhundert im Ravensberger Land so bedeutend, weil hier viel Flachs angebaut wurde und die Bienen zur Bestäubung wichtig waren. Jener Flachs diente nämlich als Rohstoff für die damals sehr verbreitete Leinenherstellung. Viele Bienen bedeutete entsprechend auch viel Honig.

Sie gründeten den Ruf Borgholzhausens als Zentrum der Lebkuchenherstellung. 1740 siedelten sich die ersten Honigkuchenbäckereien an. 1783 waren bereits 16 Lebküchner in Borgholzhausen ansässig und brachten ihre Honigkuchen und Lebkuchen auf Jahrmärkten an den Mann und die Frau. „Es war ein regionaler Kreislauf, der funktionierte“, so Peter Knaust. Doch nach und nach verschwanden immer mehr Betriebe. Denn mit dem Ende der Leinenherstellung gingen auch der Flachsanbau und die Honigproduktion zurück. Übriggeblieben ist die erste westfälische Leb- und Honigkuchenfabrik Heinrich Schulze, die unter dem Markennamen „von Ravensberg“ die lange Tradition bis heute fortführt, die Borgholzhausen als Lebkuchenstadt bekannt machte. Und das in mittlerweile sechster Generation. Im Stammhaus ist heute ein Café mit Ladengeschäft untergebracht. Die Produktion wurde 1959 – Ironie des Schicksals – in die ehemalige Segeltuchfabrik am Ort verlagert.