Familie

Wenn wertvolle Gesprächsmomente fehlen!

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Medienkonsum in früher Kindheit beeinflusst das spätere Sprach- und Sprechvermögen

Hand aufs Herz, bei fast jedem von uns ist doch schon mal Peppa Wutz oder Feuerwehrmann Sam als Babysitter eingesprungen und hat den Job verdammt gut gemacht: Minuten für Ruhe gesorgt, kein Fragen, kein Betteln, herrlich!

Aber, so praktisch Handy, Tablet und Fernseher als Pausenknopf auch sein können, im Interview mit der Bielefelder Sprachtherapeutin Dr. Marion Wittler lerne ich: Ihr Einsatz bei kleinen Kindern ist keineswegs förderlich für die Sprachentwicklung der kleinen Rabauken!

Dr. Marion Wittler: Da müssen wir ziemlich weit vorne anfangen. Bei den ganz Kleinen, also im Alter von 0-3 Jahren. Hier befinden sich Kleinkinder in einer wichtigen und sehr sensiblen Phase der Sprachentwicklung, hier ist die Hirnreifung  in vollem Gange. Schon kurzer, regelmäßiger Medienkonsum kann hier die Sprachentwicklung verzögern und so zu Spätfolgen für die Kinder führen.
Die Kleinkinder beginnen beispielsweise später zu sprechen. Es  besteht sogar ein hohes Risiko, diesen Nachteil nicht mehr aufzuholen. Die möglichen Folgen: Aufwändige Sprachtherapien, Probleme mit Gleichaltrigen aufgrund von Artikulationsschwierigkeiten und schlechtere Voraussetzungen für den Schulstart. Doch das ist noch nicht alles: weitere Auswirkungen von zu frühem und zu viel Medienkonsum

– Aufmerksamkeitsdefizite: Die Kinder können sich nur schwer oder sehr kurz auf Dinge oder Gesprächspartner fokussieren. Sie können häufig schwer Blickkontakt halten, um ein Gespräch aufrecht zu erhalten.

– Wortschatzdefizite: Es fehlen die Assoziationen zwischen Begriffen und Gegenständen

Dr. Marion Wittler: In der Sprachentwicklung ist die sogenannte Triangulation notwendig. Der triangulare Blick bezeichnet dabei ein Dreieck zwischen dem Baby, der erwachsenen Person sowie dem Gegenstand der gemeinsamen Aufmerksamkeit.

Ein Beispiel aus dem Alltag: Das Kind spielt mit einer Puppe und wendet erst mal den Blick auf das Objekt, die Puppe. Dann sucht es den Blick zu Mama, Papa oder anderen. Diese fühlen sich in diesem Moment meist aufgefordert, Input zu geben und gehen in den Dialog. „Ach Mensch, hast du eine schöne Puppe! Was hast du denn mit der Puppe gemacht? Hast du der Puppe was angezogen?“ Heißt: Das Kind setzt in diesem Moment den Fokus auf das, was es hört, in Bezug zum Objekt. Hört in der Sequenz häufiger das Wort Puppe und kann irgendwann durch wiederholtes Hören und Verknüpfen die Puppe als „Puppe“ benennen. Eine solche Triangulation fehlt bei der Nutzung von Medien komplett.
Das Kind kann noch gar nicht von sich aus die Verknüpfung schaffen, dass es jetzt weiß „Ok, das Auto wird jetzt im TV als Auto benannt.“ Es braucht den Rückbezug und das gemeinsame Referieren über das Objekt, um zu lernen, wie verschiedene Dinge benannt werden. Das können TV und Co. nicht bieten: Medien agieren nicht mit den Kids und reagieren nicht auf sie.
Hinzu kommt, dass sie – je nach Alter – mit der Schnelligkeit der Bildfolgen völlig überfordert sind und nicht zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können. Oft denken Eltern, dass ihr Kind bei der Mediennutzung etwas lernen kann. Das ist im Kleinkindalter aber definitiv nicht der Fall!

Dr. Marion Wittler: Genau. Ohne Kommunikation kein Spracherwerb! Kommunikation richtet sich, wie erwähnt, stets von einem ICH an ein DU und bezieht sich auf ein gemeinsames Drittes.
Dazu brauchen Kinder aber vor allem direkte Zuwendung und Anregungen. Sie brauchen Personen, die zu ihnen sprechen und mit ihnen spielen. Bei Kleinkindern stehen die Sinneswahrnehmungen schmecken, riechen, fühlen, hören und sehen im Vordergrund und/oder sich nach Lust und Laune zu bewegen. Bei Medien besteht keine Kommunikation: Das Handy oder der TV stellen unsere Kinder „nur“ still. 

Dr. Marion Wittler: In den ersten drei Lebensjahren liegt der Fokus auf der sprachlichen, motorischen und emotionalen Entwicklung. Da bringen digitale Medien für Kinder keinen Zugewinn. In diesem Lebensabschnitt haben Medien keinen positiven Effekt auf die Sprachentwicklung.  

Danach sieht es schon anders aus. Ich glaube, dass es sehr wohl sinnvolle Medien gibt, die man nutzen kann und auch sollte. Beispielsweise Lernapps wie die Anton App. Aber auch da müssen Eltern schauen, dass die Medienzeit nicht überschritten wird, dass alles in einem gewissen Rahmen bleibt und von anderen Lernmöglichkeiten flankiert wird.
Die Kinder heute wachsen nun mal in einer digitalen Welt auf. Es geht nicht mehr ohne sie. Und deshalb ist es wichtig, dass Kindern in unserer digitalen Welt Medienkompetenz zu vermitteln, damit sei keine  „ohnmächtigen Konsumierer“ werden.

Dr. Marion Wittler: Ja, auf jeden Fall! Da wir dazu keine „offizielle Studie machen“ kann ich diese Frage nur aus der Wahrnehmung aus meiner Praxis heraus beantworten. In meinem therapeutischen Alltag hat sich in den letzten Jahren  die Zahl der Kinder, die nicht in die Sprache kommen, ihre eigene Sprache sprechen, keinen Blickkontakt aufnehmen und nicht auf Ansprache reagieren, definitiv erhöht. Diese  „Symptome“ sprechen leider häufig für zu viel und zu frühen Medienkonsum. Im Gespräch mit den Eltern und Kindern erfahre ich dann nicht selten, dass diese Kinder bereits im Kleinkindalter schon mehrere Stunden am Tag unterschiedliche Medien konsumieren. In den Augen der Eltern sind solche „zwei Stunden“ für einen 2,5-Jährigen doch nicht so schlimm … Aber das ist leider falsch gedacht!

Dr. Marion Wittler: Auch Eltern müssen Ihren Medienkonsum im Beisein Ihrer Kinder überdenken. Wenn bereits Kinderwagen mit Handyhalterung auf dem Markt sind (die Eltern schauen nicht mehr in das Gesicht des Kindes beim Schieben und kommunizieren, sondern aufs Handy) und Eltern, während sie ihren Kindern antworten am smartphone rauf- und runterscrollen, ist die Folge ebenfalls fehlender Blickkontakt und die Eltern modellieren eine Mediennutzung, die die Kinder übernehmen. Das Medium ist wichtiger, als der Austausch mit dem Kind. Auch hier entstehen bereits unerwünschte kommunikative Muster.

Die Dosis macht demnach das Gift. Und na klar, es gibt immer Ausnahmesituationen wie lange Reisen oder Krankheit, wo auf Laptop oder TV zugegriffen wird. Aber für die anderen ca. 320 Tage im Jahr gibt es für die Mediennutzungsdauer entsprechend dem Alter von Kindern folgende Regeln, die als Orientierung dienen können (Quelle: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung https://www.bzga.de/:)

  • Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren: keine Bildschirmmedien nutzen 
  • Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren: höchstens 30 Minuten täglich
  • Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren: höchstens 45 bis 60 Minuten täglich

Dr. Marion Wittler ist klinische Linguistin in Bielefeld. Ihre Schwerpunkte der therapeutischen Arbeit sind die Neurofunktionstherapie, die Stimmtherapie und die Behandlung von Lernstörungen (LRS). 

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