Alltag
Großeltern: Für alle ein Gewinn
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Oma, Opapa, Omchen, Opi oder typisch ostwestfälisch Omma – Namen für die Großeltern gibt es einige und ebenso vielfältig sind die Beziehungen, die Oma und Opa zu ihren Enkeln haben können.
Beim Ausgestalten dieser Verbindung spielen unterschiedliche Faktoren eine Rolle, beispielsweise ob die Großeltern vor Ort oder weiter weg wohnen. Laut pairfam – einer Längsschnittstudie, die partnerschaftliche und familiale Lebensformen in Deutschland erforscht – gibt es einen starken Zusammenhang zwischen der Kontakthäufigkeit und der Wohnentfernung: Leben die Enkelkinder weniger als zehn Minuten entfernt, geben knapp 94 Prozent der Großeltern an, mindestens wöchentlich Kontakt zu haben. Beträgt die Distanz mehr als drei Stunden, sind es nur noch 38 Prozent.
Das können auch zwei Bielefelder Familien bestätigen: „Meine Eltern wohnen eine Etage über uns, sodass unsere Kinder fast täglich die Großeltern besuchen“, erzählt Esra Unus. Bei den Rudls sieht das ein wenig anders aus. „Wir leben leider 500 Kilometer voneinander entfernt, sodass wir uns nur zwei- bis dreimal im Jahr für einige Tage sehen können“, sagt Mutter Kathleen. „Zwar telefonieren wir mehrmals im Monat miteinander, aber ich bedauere es sehr, dass meine beiden Töchter keinen alltäglichen Kontakt zu ihren Großeltern haben können.“
Verbundenheit trotz größerer Entfernung
Nicht zwangsläufig beeinträchtigt eine größere Wohnraumentfernung auch das Verbundenheitsgefühl, das die beiden Generationen füreinander empfinden. Immerhin berichten knapp 75 Prozent der befragten Großeltern, die weiter als zwei Stunden von ihren Enkelkindern entfernt leben, in der pairfam-Studie von einer engen Beziehung. Wohnen die Enkel im selben Haus, sind es fast 95 Prozent. Dieses Ergebnis kann Esra Unus bestätigen: „Die Oma väterlicherseits wohnt in der Türkei. Die Kinder sehen sie einmal im Jahr und wir telefonieren regelmäßig. Trotzdem haben meine Eltern eine engere Beziehung zu den Kindern, weil sie in der Nähe wohnen.“
Dass sich eine gute Großeltern-Enkel-Beziehung entwickelt, dazu kann auch die mittlere Generation einiges beitragen: Die Qualität ihrer Beziehung zu den eigenen Eltern wirkt sich auch auf die Verbindung der ältesten zur jüngsten Generation aus. Gleich einer Brücke haben die Eltern der Enkelkinder großen Einfluss, ob und wie die beiden Generationen in Kontakt treten können.
Ebenso ist es für die Beziehung bedeutend, in welcher Form die ältere Generation sich einbringen kann und will. In Deutschland liegt das Übergangsalter in die Großelternschaft derzeit bei durchschnittlich Mitte 50. Es ist also nicht ungewöhnlich, dass die Großeltern von heute mitunter noch erwerbstätig sind. Häufig sind sie sozial eingebunden, fit und unternehmungslustig. Welche Oma- und Opa-Rolle sie einnehmen, wollen Großeltern – abhängig von Lebensumständen und Alter – folglich oftmals selbst festlegen.
Oma und Opa in der Nähe sind häufig Win-Win
Die Enkel aus der Kita abholen. Das kranke Kind gesundpflegen, wenn die Eltern arbeiten müssen. Einhüten, wenn die mittlere Generation mal wieder einen Abend zu zweit verbringen möchte: Laut Deutschem Alterssurvey betreuten im Jahr 2014 gut 30 Prozent der Großeltern regelmäßig ihre Enkelkinder. „Solch eine Unterstützung der Großeltern im Alltag oder auch gerade jetzt zu Corona-Zeiten habe ich schon oft schmerzlich vermisst“, räumt Kathleen Rudl ein. Forschungsergebnisse zeigen, dass sich insbesondere die Großmutter mütterlicherseits bei der Betreuung der Enkelkinder engagiert. Dass aber natürlich auch die anderen Großelternteile hilfreich sein können, zeigt sich bei Familie Unus: „Normalerweise bringt und holt mein Vater die Kinder aus der Kita, wenn wir es zeitlich nicht schaffen“, sagt Esra. „Seit Corona kann er uns dabei aber nicht mehr unterstützen und auch sonst hat sich der Kontakt zu den Großeltern verändert. Zum Beispiel haben wir meine Eltern während des ersten Lockdowns vier Monate lang gar nicht gesehen – die Gesundheit geht da natürlich vor.“
Eine intakte Großeltern-Enkel-Beziehung ist oft für alle ein Gewinn. Die mittlere Generation erfährt Entlastung, zum Beispiel dabei, Berufs- und Familienleben zu vereinbaren. Jüngere Enkelkinder schätzen die Großeltern als Spielpartner mit viel Geduld und Zeit, welche ohne zu murren, dreimal hintereinander „Mensch ärgere dich nicht“ spielen oder ausdauernd Bauklotz um Bauklotz aufeinander türmen. Hat sich die Beziehung gefestigt, können Großeltern älteren Enkeln wichtige Gesprächs- und auch Ansprechpartner bei Problemen sein. Dabei wirkt sich positiv aus, dass sie nicht mehr die Erzieherrolle innehaben und gelassener agieren können.
Kontakt zu Enkeln hält (geistig) fit
Auch Esra Unus vermutet, dass die gute Beziehung ihrer vier Kinder zu den im Haus wohnenden Großeltern damit zusammenhängt: „Meine Eltern sind nicht so streng und eigentlich viel lockerer als wir“, erzählt sie mit einem Lachen. „Sie sind geduldig und verständnisvoll gegenüber unseren Kindern, die das spüren und schätzen.“ Und für Oma und Opa ist die Beziehung zur jüngeren Generation in vielen Fällen ein Quell der Freude. In der Forschung gibt es außerdem Hinweise, dass Großeltern, die sich um ihre Enkel kümmern, länger (geistig) fit bleiben und zufriedener sind – allerdings nur, solange die Betreuung der Enkelkinder nicht in Stress umschlägt. Ist das der Fall, ist der positive Effekt schnell dahin.
Doch was, wenn die Großeltern weit weg wohnen und nicht einfach mal so die Enkel betreuen können oder wenn der Kontakt sogar ganz abgerissen ist? Dass dann womöglich etwas fehlt, hat auch Kathleen Rudl erlebt, deren eigene Großeltern früh verstorben sind. „Durch den fehlenden Kontakt zu dieser Generation, habe ich mich lange schwer getan in der Kommunikation mit älteren Menschen“, erinnert sie sich. Solchen Erfahrungen will das Projekt „Co.libri plus inklusiv“ des AWO Kreisverbandes Bielefeld e.V. entgegenwirken. Vor knapp zehn Jahren wurde das Konzept im AWO Mehrgenerationenhaus Heisenbergweg ersonnen, wo das Angebot bis heute von Petra Uhlmann koordiniert wird.
Ersatz-Omas und Opas übernehmen die Betreuung
„Dabei betreuen von uns qualifizierte Seniorinnen Kinder – mit und ohne Behinderung – ein- bis zweimal die Woche nach der Kita oder Schule“, erklärt Uhlmann. Ziele sind, Familien in ihrem Alltag zu entlasten, aber auch, den Generationendialog zu fördern. Zurzeit gibt es knapp 20 solcher Beziehungen, schwerpunktmäßig im Bielefelder Westen und in Oldentrup. „Grundsätzlich sind wir aber für Anfragen aus ganz Bielefeld offen“, betont Uhlmann. Aktuell engagieren sich ausschließlich Seniorinnen. „Aber ich würde mich sehr freuen, wenn wir auch wieder männlichen Zuspruch hätten“, so Uhlmann. „Interessierte müssen keine pädagogische Ausbildung haben, aber es ist wichtig, dass sie geistig flexibel sind, Geduld und ein großes Herz sowie idealerweise selbst Kinder großgezogen haben.“ Manche der Generationenbeziehungen laufen schon seit sechs Jahren. Zwar nennen die Kinder ihre Betreuerin nach wie vor nicht Oma, Omchen oder Omma, aber eine Beziehung wie zu einer richtigen Oma hat sich in der Zeit doch entwickelt.