Alltag

Kinder brauchen Buddys

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Warum Freundschaften zu Gleichaltrigen so wichtig sind

„Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste was es gibt auf der Welt…“ summe ich so vor mich hin, als ich mir die ersten Gedanken zum Thema Kinderfreundschaften mache.  

Wie treffend! Denn gemeinsam toben, basteln, Geheimnisse anvertrauen, Pläne schmieden und Neues entdecken –  all das macht mit anderen Kindern viel mehr Spaß. Aber nicht nur das: Freundschaften zu Gleichaltrigen sind sogar wichtig für die  Entwicklung. Aber gibt es altersspezifische Unterschiede bei Freundschaften? Wie wichtig ist es, einen Freund beim Schulstart oder Schulwechsel an seiner Seite zu haben? Antworten gibt die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Annette Litschel (Herzebrock-Clarholz) aus ihrem Praxisalltag.

Zum Einstieg direkt die Frage, die sich bestimmt jedes Elternteil schon mal gestellt hat: Wie wichtig sind Freund:innen für Kinder und vor allem wofür?

Annette Litschel: Freundschaften unter Kindern sind enorm wichtig für deren Entwicklung. Sie brauchen Kinder, mit ihnen sammeln sie Erfahrungen fürs Leben. Das geht zurück auf unseren biologischen Urinstinkt. Früher war die Gruppenzugehörigkeit absolut überlebenswichtig und das ist noch heute ganz, ganz tief in uns verwurzelt. Jedes Kind, jeder Mensch sehnt sich in seinem Innersten nach Freundschaft, sozialen Interaktionen und dem Austausch von Emotionen.

Neben dieser Herleitung spielt die Erfüllung von Grundbedürfnissen auch eine wichtige Rolle wie der Wunsch nach Selbstbestimmung und Kontrolle, Bindung, Selbstwerterhöhung und Lustgewinn.

In Freundschaften werden diese Bedürfnisse bedient: Durch den Kontakt zu Freunden werden geistige und körperliche Kompetenzen erworben und gleichzeitig die Bindungsfähigkeit erlernt. Auch für die emotionale und persönliche Entwicklung ist eine Freundschaft ein großer Gewinn. Wer Freunde hat, fühlt sich angenommen und in der Gruppe sicher und geborgen. Eine Kinderfreundschaft ist so etwas wie das Übungsfeld fürs Leben. Durch sie lernen Kids schon im Kleinkindalter, mit ihren Gefühlen umzugehen, Kompromisse einzugehen oder Konflikte zu lösen.

Ab wann bilden sich Kinderfreundschaften und gibt es altersspezifische Unterschiede?

Annette Litschel: Bereits Babys reagieren freudig auf den Anblick von Gleichaltrigen. In diesem Alter wird aber eher nebeneinander als miteinander gespielt. Da wird vielleicht mal auf dem Bauteppich ein Bauklotz herübergereicht oder später das Sandspielzeug geteilt. Aber von Freundschaft kann in diesem Alter noch nicht die Rede sein.

Ab dem dritten Lebensjahr schließen Kinder die ersten Freundschaften. Diese werden recht schnell und beliebig geschlossen und mitunter auch genauso schnell wieder gelöst. Kindergartenkinder gehen mit dem Wort Freund:in recht großzügig um. Die Beziehungen sind noch sehr instabil und beziehen sich meist nur auf die aktuelle Situation. Wen interessiert schon, was morgen ist?  Freundschaften in diesem Alter werden aus egozentrischen oder pragmatischen Motiven geschlossen. An einem Tag ist das Kind best Buddy, das ein tolles Spielzeug oder leckere Snacks dabei hat oder zur passenden Zeit zur Verfügung steht und mit ihnen spielt. Am nächsten Tag kann es schon wieder ganz anders aussehen. In diesem Stadium spielen Verfügbarkeit und „Spielkompetenz“ eine größere Rolle als die Persönlichkeit des Spielkameraden.

Und na klar, wie so häufig, gibt es auch Ausnahmen: Haben Kinder jemanden gefunden, mit dem sie besonders gut spielen können, können sich auch in diesem Alter schon länger andauernde Freundschaften entwickeln. Das ist dann „der Sandkastenfreund“, der es irgendwann sogar in die Hochzeitszeitung schafft ;-)!

Ab etwa dem Grundschulalter sind  Freundschaften nicht mehr so spontan und situationsabhängig, sondern fester und beständiger. Jetzt dominieren gemeinsame Interessen und es geht um Vertrauen. Die Persönlichkeit des anderen spielt zunehmend eine Rolle, die emotionale Komponente gewinnt an Bedeutung. Untersuchungen bei Grundschulkindern haben gezeigt, dass für sie in diesem Alter Aspekte der Gegenseitigkeit wie Vertrauen, Hilfe und Empathie von besonderer Bedeutung sind. Der Freund wird oft als wichtiger Helfer bei Ärger mit Mitschülern oder als Unterstützer:in bei den Hausaufgaben benannt.

Mit den Jahren werden Beziehungen dann noch enger und wichtiger. Im Jugendalter ist von besonders großer Bedeutung, dass die Freundschaft auf Gegenseitigkeit beruht – sich Geben und Nehmen die Waage halten. Hinzu kommt, dass mit Freund oder Freundin über intime Gedanken und Gefühle gesprochen wird, die verständlicherweise für sich behalten werden sollen. In diesem Alter spielen Vertrauenswürdigkeit, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Sensibilität eine große Rolle.

Bei einigen Kindern steht der Schulstart oder Schulwechsel an: Wie wichtig sind Freundschaften in Bezug auf einen Schulstart/-wechsel?

Annette Litschel: So ein Schulstart ist natürlich für Kinder mit Vorfreude, aber auch mit Ängsten, Sorgen und Unsicherheit verbunden: Was passiert in der Schule? Wie wird meine Klasse? Wie sind die Lehrer? Und natürlich spielt dabei auch die Frage nach Freundschaft und Anschluss eine große Rolle. Manche r haben das Glück, dass sie mit einem Freund aus dem Kindergarten oder der Grundschule gemeinsam „weiterziehen“. Keine Frage, das kann den Start erleichtern und ein Stück weit Sicherheit geben. Erfahrungsgemäß ist es aber so, dass die meisten Kinder diese Herausforderung auch ohne alte Bekannte an ihrer Seite gut und schnell bewältigen.

Gibt es die Möglichkeit, mein Kind auf den Schulstart oder Schulwechsel vorzubereiten und währenddessen zu unterstützen?

Ja, auf jeden Fall und unbedingt ;-). Es ist wichtig, dass Erwachsene Kindern in dieser Zeit besonders viel Halt geben, ihnen zuhören und sie ernst nehmen. Man kann  ganz wunderbar ihr Autonomiebestreben fördern, indem sie zum Beispiel etwas alleine einkaufen gehen dürfen. Das wirkt sich positiv auf ihr Selbstwertgefühl aus und macht sie schlussendlich sicherer, die anstehenden Aufgaben bewältigen zu können. Sollten Sohn oder Tochter Ängste haben, sie immer daran erinnern, welche Aufgaben sie schon alle gemeistert haben: „Guck mal, den Kita-Start hast Du doch auch ganz toll hinbekommen“ oder „Du bist schon so groß, dass du bei deinem Freund alleine übernachtet hast.“ Solche Erfahrungsschätze geben Zuversicht für neue Herausforderungen.

Was bewirkt der Verlust eines Freundes zum Beispiel durch Umzug oder Besuch unterschiedlicher Schulen?

Annette Litschel: Hier stellt sich für mich erst mal die Frage: Muss das direkt ein Verlust oder das Ende der Freundschaft sein? Ich finde nicht und das sollten Eltern auch so vermitteln. Man kann  trotzdem befreundet bleiben, auch wenn man sich nicht mehr jeden Tag sieht. Es gibt viele Möglichkeiten, den Kontakt zu halten: verabreden oder telefonieren.

Schwieriger ist es sicherlich, wenn ein Kind umzieht. Aber auch da gibt es Möglichkeiten: gegenseitgier Besuch übers Wochenende oder in den Ferien. Oder in Form von Briefen oder eines Briefbuchs. In größeren Abständen tauschen sie sich dann über das Geschriebene aus. Damit mache in meiner Praxis sehr positive Erfahrungen. Nichtsdestotrotz ist es ein Abschied, der auch betrauert werden darf. Es ist wichtig, Sohn oder Tochter in dieser Traurigkeit zu begleiten, ernst zu nehmen und keineswegs klein zu reden. All diese Gefühle gehören zum Prozess des Großwerdens dazu und sind wichtig.

Kann ich mein Kind unterstützen, neue Freundschaften zu knüpfen?

Annette Litschel: Ja, Eltern können das, allerdings nur begrenzt. Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass man nichts erzwingen kann und schon gar nicht erzwingen sollte. Es gibt nicht so was wie den „richtigen Weg“, kein Standard. Jedes Kind ist anders und das ist gut so!

Dennoch gibt es Möglichkeiten, das Kind zu supporten:

– An erster Stelle steht, dass Erwachsene einfühlsam sind und dem Kind Zeit lassen
– Sie können Sohn oder Tochter dazu ermutigen, auf andere Kinder zuzugehen oder Playdates mit anderen Familien  ausmachen, um Kontakt zu fördern. Doch dabei nicht das Ziel verfolgen, nur ausgewählte Kinder als Freunde zuzulassen. Lass Dein Kind entscheiden, mit wem es spielen mag!
– Gruppenaktivitäten etablieren: Vereine und Kinderkurse sind eine tolle Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen und gemeinsamen Interessen nachzugehen
– Vorbild sein: Eltern dürfen auch über ihre eigenen Freundschaften sprechen. Denn, Kinder schauen sich den Umgang mit Freunden auch bei den Großen ab

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