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Gesucht: eine neue Familie

Pflegekindern ein Zuhause bieten und ein Stück des Lebens begleiten 

So aufgeregt waren sie noch nie. Claudia und Maik sollten an jenem Tag erstmals ihrem Jungen begegnen. Auf dem Spielplatz bei einem sogenannten „Blind Date“ sollten sie den fünfjährigen Manuel erleben. „Wir haben ihn gesehen und waren uns beide gleich einig“, erinnert sich das Ehepaar. Sie wollten, dass ihr Zuhause auch das von Manuel wird. Nach nur sechs Wochen und einem Übernachtungswochenende zog der Junge bei ihnen ein. Manuel ist ihr Pflegekind. „Er lebte in einer Wohngruppe und wünschte sich immer eine Mama.“ Der Familie zur Seite stand von Anfang an das Netzwerk Pflegefamilien im Verband Sozialtherapeutischer Einrichtungen (VSE).

Über persönliche Kontakte zu Mitarbeitern seien sie auf den Gedanken gekommen, ein Pflegekind bei sich aufzunehmen. In Vollzeitpflege. Das heißt rund um die Uhr über Monate oder Jahre für das Kind da zu sein. Daneben gibt es noch die Bereitschaftspflege. Hier bleibt ein Kind in einer Krisensituation für einige Tage oder Wochen in einer Pflegefamilie und lebt dort in einem geschützten Rahmen  bis die weitere Unterbringung geklärt ist.

„Als freier Träger arbeiten mit dem Jugendamt und den Vormündern zusammen. Das Wohl des Kindes steht bei der Vermittlung immer im Vordergrund. Aber auch das Wohlbefinden der Pflegefamilie ist uns ganz wichtig“, bekräftigt Katja Lesner von der Jugendhilfe Bethel, Fachberatung Westfälische Pflegefamilien. Die verschiedenen Träger suchen nicht ein Kind für eine Familie. „Vielmehr suchen wir die passende Familie für das Pflegekind. Und dazu brauchen wir Vielfalt an Familien“, wirbt Güley Polat von der Jugendhilfe Bethel.

Über 1800 Kinder leben in Westfälischen Pflegefamilien. Die Gründe, warum sie nicht bei ihren Herkunftseltern bleiben können, sind vielfältig: psychische Erkrankungen, Alkohol- und Drogensucht oder deutliche Überforderung, so dass die leiblichen Eltern selbst Hilfe brauchen. „Das Kind trägt in seiner Biographie einen Rucksack mit großen Belastungen mit sich. Deshalb schauen und hören wir alle, die in der Beratung tätig sind, auch ganz genau hin, wo die Stärken der neuen Familie liegen.“, so Lesner. Sie übernimmt Verantwortung für ein zunächst fremdes Kind, dem sie Geborgenheit und Zuwendung geben wollen. Auch deren Familienleben wird zunächst durcheinander gewirbelt.

Pflegeeltern werden nicht allein gelassen

Pflegeeltern sollen zum einen liebevolle Begleiter für die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen sein. Zum anderen sollen sie professionelle Ansprüche erfüllen und mit Fachkräften von Trägern der freien Jugendhilfe und Jugendämtern sowie den Herkunftsfamilien  zusammenarbeiten. „An Pflegefamilien nehmen viele teil. Doch sie werden nicht allein gelassen, sondern auf diese Aufgabe vorbereitet und stets auch weiter begleitet“, betont Maris Nolting , WPF-Familienberaterin der Ev. Jugendhilfe Schweicheln. Die qualifizierte Beratungs- und Begleitungsarbeit für Westfälische Pflegefamilien hat einen hohen Stellenwert. Der Verbund mit 45 verschiedenen Trägern in Westfalen-Lippe garantiert einheitliche Qualitätsstandards bei der Vorbereitung der Familien und umfassende Unterstützung im Alltag.

Die Mädchen und Jungen sind anfänglich oft verunsichert (Bin ich schlecht oder böse?) und brauchen liebevolle Bezugspersonen, die Geduld, Zeit und viel Verständnis aufbringen. Das Pflegekind verlässt seinen vertrauten Lebensraum und wird mit einer neuen Familie konfrontiert. Bisherige Gewohnheiten, Regeln gelten nicht mehr. „Die einen sehnen sich nach Zuwendung, die anderen sind verschlossen. Damit müssen die „neuen“ Eltern umgehen können“, sagt Rike Hübner vom Netzwerk Pflegefamilien: „Manuel hatte anfänglich Angst, dass er wieder zurück muss.“ Er zog recht schnell bei seinen Pflegeeltern ein, weil er unbedingt das Weihnachtsfest, das bevorstand, mit ihnen erleben wollte. „Er ist ein aufgeweckter Junge, teilt seine Wünsche sehr offen mit.“  

Das Eis war schnell gebrochen

Bis zum Einzug eines Pflegekindes ist das Verfahren ein offener Prozess. In der sogenannten Anbahnungsphase lernen sich Kind und Eltern bzw. Familie persönlich kennen. In Begegnungen merken beide Seiten dann, ob sie zueinander passen. Wie bei einem Magnet, entweder man zieht sich an oder stößt sich ab. „Ich rate, auch seinem Bauchgefühl zu vertrauen und sich nichts zurechtzureden. Es muss passen“, sagt Andre, Pflegevater von Ramon. Bei ihnen passt es. Der Junge lebt seit 2008 in der Familie. Der 15-Jährige besucht die Gesamtschule und möchte nach der mittleren Reife gerne zum Zoll. „Dort habe ich schon ein Praktikum gemacht. Das hat mir gut gefallen.“

Andre und Marlies wollten neben Tochter Eileen gerne noch ein zweites Kind. „Unsere Tochter wollte nie Einzelkind sein, wir selbst sind mit Geschwistern aufgewachsen“, so Mutter Marlies. Ramon lebte damals in Osnabrück. Dort fanden auch die ersten Treffen statt. Mal ging es in den Zoo, mal kauften sie zusammen Schuhe. „Wir kannten uns dort  nicht so gut aus, Ramon hatte eine super  Orientierung. Das Eis war schnell gebrochen“, erinnert sich der Pflegevater. Die Begegnungen wurden immer länger. Erst zwei Stunden, dann einen Nachmittag, dann Feiertage und dann mit Übernachtung. „Eileen fand ihn ganz toll. Sie war sehr aktiv im Entscheidungsprozess,“ so die Mutter. Die Besuchskontakte fanden aber zunächst ohne sie statt.

Die Begleitung durch die Familienberaterin und der Austausch mit anderen Familien empfinden alle als sehr hilfreich. „Erst hatte ich in meiner Vorstellung befürchtet, Frau Rottenmeier kommt. Aber genau das Gegenteil ist der Fall“, so Andre. Die Familienberater seien keine Kontrolleure, sondern hilfreiche Begleiter. Ramon, der in seiner Freizeit im Karnevalsverein sowie bei den Messdienern aktiv ist und Rugby spielt, ist ein Jugendlicher, der sich seine Gedanken macht. Seine Pflegeeltern nennt er Mama und Papa, er nahm ihren  Familiennamen an und konvertierte zum katholischen Glauben. Es war der Wunsch des Jungen („Er hat schon immer seinen eigenen Kopf“), doch dazu war die Zustimmung der leiblichen Eltern notwendig. Ramon hat Kontakt zu seiner Mutter, auch die Pflegeeltern sind ihr schon begegnet. Maris Nolting: „Sie ist stolz, was aus ihrem Sohn geworden ist.“ Und die Fragen aller Fragen, warum sie ihn weggegeben habe, konnte er ihr auch stellen. Ihre Antwort: „Du solltest es besser haben.“   
                                                                                                         Susanne Esser

Foto: Andrey Volokhatiuk/Fotolia

 

Info Pflegefamilien  

Generell kann jeder Erwachsene ein Pflegekind aufnehmen – unabhängig von Nationalität, Konfession, Geschlecht und Familienstand. Egal ob verheiratet, Einzelperson oder Paar. Auch Verwandte können sich als Pflegeeltern um Pflegekinder kümmern.

Pflegeeltern erhalten Beratung, werden mit Schulungen auf ihre Aufgabe vorbereitet und nach der Aufnahme eines Kindes fachlich unterstützt. Probleme müssen sie nicht alleine lösen.

Für jedes Pflegekind wird ein altersgemäß gestaffeltes Pflegegeld gezahlt.

Pflegeeltern regeln Angelegenheiten des täglichen Lebens. Grundsätzliche Entscheidungen werden weiterhin von Eltern in Zusammenarbeit mit Vormund, Jugendamt und Träger entschieden. Bsp. Kinderarztbesuche oder Anmeldung in Sportvereine regeln Pflegeeltern, geplante Operationen müssen mit leiblichen Eltern oder Vormund abgesprochen werden.

Beratungsstellen 

Jugendhilfe Bethel.Bielefeld
Eckardtsheimer Str. 29
33689 Bielefeld
0521 144 1712
www.pflegefamilie-werden.de

Ev. Jugendhilfe Schweicheln
Herforder Str. 219
32120 Hiddenhausen/Herford
05221 960965
www.ejh-schweicheln.de

VSE NRW e.V. Netzwerk Pflegefamilien
Benatzkystr. 26
33647 Bielefeld
0521 95039490
www.vse-nrw.de